Sigrid Vik

Sigrid Vik

Interview: Bjarte Frøyland | Photos: Mark Henderson | Ort: London, UK

Sigrid Vik wuchs in Oslo auf. Schon mit 5 Jahren entdeckte sie ihre Liebe zum Tanz. Mit 10 machte sie es zu ihrer Berufung und fing mit kleinen Auftritten in TV-Shows und Tourneen an. Schon mit 15 begann sie an einer örtlichen Tanzschule zu lehren und seither folgte sie dem Tanz, wohin er sie führte. Stationen waren die Ballett Akademie von Stockholm, das Broadway Dance Center in New York und nun London, wo sie weiter ihrem Traum folgt. Wir haben sie in London besucht, um mehr über ihr aufregendes Leben zu erfahren und bei der Feier ihres 25. Geburtstages dabei zu sein; eine Brunost Party, zu der auch ihre Londoner Freunde eingeladen sind.

Es sieht so aus, als ob Tanzen dein ganzes Leben bestimmt. Hast du jemals in Erwägung gezogen, etwas anderes zu machen?

Ich denke, jeder kommt mal an Punkte, wo es hart wird; wenn man nicht von der Schule angenommen wird, auf die man gern ginge, oder wenn man den Job nicht kriegt, den man wirklich wollte. Dann gibt es immer ein paar Wochen oder Monate voller Selbstzweifel. Aber irgendwie bin ich immer wieder beim Tanz gelandet.

Aber tatsächlich, ich mache gerade einen Abschluss in Journalismus hier an der Westminster University! Aber das ändert nichts daran, dass ich tanzen muss. Ich habe die Chance dazu, und schulde es allen, die nicht so privilegiert sind, diese auch zu nutzen.

_MG_7064


Was macht das Tanzen so unwiderstehlich für dich?

Es fühlt sich für mich einfach richtig an. Ich tanze nicht, um jemanden zu beeindrucken oder um berühmt zu werden. Das war nie meine Intention. Ich glaube, mit 15 habe ich zu meinen Freunden gesagt: „Ich gehe lieber zur Ballettstunde als auf eine Party.“ Mir hat das einfach mehr Freude gemacht, und so ist es immer noch.

Und woran arbeitest du gerade?

Momentan arbeite ich mit einer Ballettkompanie, die sich Sole Dance nennt. Wir bereiten eine Aufführung im August vor und hoffen dann damit auf Tournee zu gehen. Und ich unterrichte Ballettklassen in den Pineapple Studios, was mir wirklich Freude macht.

Wen unterrichtest du dort, Kinder?

Nein, ich habe Profiklassen am Morgen. Und dann mache ich noch ein Projekt mit einigen Freunden in Schweden, „mindsurfing“ (klarträumen), woraus wir eine Performance entwickeln wollen, die wir auch nach Skandinavien bringen können.

Wieso bist du in London gelandet? Haben dich die Möglichkeiten, die es für Tänzerinnen gibt, hierhergezogen, oder war es etwas anderes?

Ich glaube, es gab mehrere Gründe. Das erste Mal war ich mit meiner Mutter hier, als ich 11 Jahre alt war. Ich erinnere mich, dass ich zu ihr gesagt habe, „Hier werde ich einmal leben.“ Das ist irgendwie an mir hängen geblieben. Ich habe in Sydney, New York und Stockholm gelebt, aber etwas in mir wollte immer, dass ich hierhin komme.

Nach Abschluss der Schule hatte ich einen Agenten hier, der mir sagte: „Wenn du hier gebucht werden willst, musst du hier leben – du kannst nicht nur für Auditions kommen und dann wieder verschwinden.“ Dann bin ich noch 6 Monate zu Hause geblieben, habe etwas Geld zusammengespart und dann einfach den Schritt gewagt.

Was gefällt dir an London so gut?

Die Verrücktheit. Wohin du auch gehst, du erlebst immer Überraschungen. Entweder du findest einen schönen Park in einer eher unschönen Umgebung, oder du gehst auf einen Markt und entdeckst ein Café mit gerade mal zwei Sitzplätzen. Es wird nie langweilig. Ich treffe ständig interessante Leute. Das Leben ist hier nicht so wie in Oslo, wo du vorhersehen kannst, was der Tag bringen wird. In London laufen Leute in den verrücktesten Kostümen herum und niemand verzieht auch nur eine Miene.

Vermisst du trotzdem etwas aus Norwegen?

Meine Familie und meine Freunde vermisse ich sehr. Ich vermisse spontane Besuche. Oder einfach in mein Lieblingscafé zu gehen und per Zufall jemanden zu treffen, den ich kenne. Meine Freunde hier leben eine Stunde Fahrzeit entfernt und wir arbeiten zu unterschiedlichen Zeiten. Es ist viel schwieriger, sich zu treffen, also bleibst du in London bei den Leuten, mit denen du wohnst oder die ganz in der Nähe leben.

Hört sich an, als sei eine Menge Planung nötig.

Eine Menge Planung und eine Menge Einsatz. Du kannst viel planen, aber du kriegst es selten realisiert.

Aber heute kriegen wir’s hin? Wir feiern deinen Geburtstag.

Ja!

Und wir haben das Glück, dabei sein zu dürfen. Mit wem wirst du feiern?

Was auch einen großen Unterschied zwischen meinem Leben in Norwegen und hier ausmacht, sind die Freunde, die du gewinnst. In Norwegen besteht mein Freundeskreis aus Gleichaltrigen mit den gleichen Interessen und man könnte sagen, sogar mit dem gleichen Aussehen. Hier in London habe ich einige enge Freunde, die alle aus verschiedenen Abschnitten meines Lebens kommen.

Was wirst du denn servieren?

Nun ja, als Vorspeise gibt es Brunost, Cracker und Konfitüre. Ein bisschen ungewöhnlich. Dann gibt es ein vegetarisches Ragout Stroganoff mit Pilzen. Und als Höhepunkt Brunost Pfannkuchen zum Dessert.

Eine Menge Brunost! Für deine Freunde etwas ganz Neues?

Louis, meinem Freund und seiner Familie habe ich schon Brunost serviert. Nach meiner Erfahrung mögen ihn die meisten beim ersten Probieren noch nicht besonders. Er ist etwas eigenwillig und schmeckt nicht so, wie sie es erwarten. Aber nach und nach mögen sie ihn immer lieber. Man muss sich gewissermaßen auf den Geschmack einlassen, weil man sich unter Käse etwas ganz anderes vorstellt.

Das hören wir oft!

Er ist süß und schokoladig und karamellisiert, und wenn du ihn auf Waffeln und mit Konfitüre probierst, ist alles klar. Auf einem Stück Brot hingegen ist er etwas ungewohnt.

Ich weiß, dass Louis’ Vater ihn inzwischen sehr mag, ich habe ihm schon 3 Packungen besorgt!

Werden wir hier in deinem Apartment feiern?

Ja, in meinem klitzekleinen Apartment in Vauxhall. Das wird nett. Wir werden alle Möbel beiseiteräumen und ein Picknick auf dem Fußboden machen, weil es nicht genug Stühle, Teller oder Gläser gibt. (...lacht.)

Also echt Londoner Stil? Das wird mir gefallen.

Wo wir gerade über Gäste sprechen, ich schätze, du bekommst viel Besuch von Freunden aus Norwegen und von anderswoher. Was zeigst du ihnen in London?

Die meisten waren schon vorher in London. Anstatt ihnen Covent Garden, Oxford Street und all das zu zeigen, nehme ich sie lieber in meine Lieblingscafés und -restaurants mit. Viele Leute finden „ihren“ Teil der Stadt, in dem sie sich besonders wohlfühlen. Deswegen schleppe ich viele Leute nach Brixton, das mein Lieblingsstadtteil geworden ist.

Das Viertel ist voll im Trend, nicht wahr?

Ja, es ist schwer im Kommen und zwar schon eine ganze Weile. Das Traurige daran ist, dass die Bevölkerungsschicht, die hier seit vielen Generationen lebte, nun verdrängt wird. Sie hat ihre Geschäfte, ihre Friseure, ihre Kneipen und all das, aber nun, wo der Stadtteil trendy ist, kaufen sich Ketten wie Starbucks und H&M hier rein. Ich finde das etwas schade und möchte noch hier sein, bevor es sich zu sehr verändert, solange es noch seine Seele bewahrt.

Sigrid at Brixton, and image of David Bowie
Brixton ist eins der Trendviertel in London und einer der Lieblingsorte von Sigrid. 


Du lebst schon eine ganze Weile hier. Ist London der Ort, an dem du für den Rest deines Lebens bleiben könntest?

Das habe ich gedacht, als ich hierherzog. Aber nein, heute glaube ich das nicht mehr.

Warum?

Es ist eine raue Stadt, vor allem wenn du kein Geld hast. Das Mindesteinkommen ist so niedrig und die Anforderungen sind so hoch, besonders, wenn du in der Gastronomie arbeitest, was für mich und andere Künstler ein typischer Teilzeitjob ist. Es bedeutet nicht einfach in einem Café zu stehen und die Leute den ganzen Tag anzulächeln, es ist harte Arbeit.
Und natürlich ist es ziemlich hektisch. Aber im Moment liebe ich es!

Wie du sagst, ist London eine hektische Stadt. Es gehört auch zur Lebensweise, dass man öfter zum Essen ausgeht als in Norwegen. Hast du diese urbane Kultur übernommen oder kochst du selbst zu Hause, nach norwegischer Art?

Oh nein, definitiv Londoner Stil, obwohl ich mir natürlich nicht leisten kann, jeden Tag essen zu gehen. Ich mag es sehr, neue Orte zu entdecken, nicht nur wegen des Essens, sondern wegen der Atmosphäre. Ich mag es zu sehen, wer wo rumhängt.

Wenn ich zu Hause koche, dann ziemlich einfach. Aber wenn ich ausgehe, möchte ich die merkwürdigsten Sachen von der Karte probieren.

Das heißt, du hast eine Menge verschiedener Restaurants in London ausprobiert. Kannst du einige besonders empfehlen?

Es gibt einen fantastischen Italiener, Padella, nah bei der London Bridge. Auch wenn man fast immer zwei Stunden warten muss, um einen Tisch zu bekommen, ist es das wert. Es ist echt günstig und es gibt erstaunlich gutes italienisches Essen.

Dann gibt es ein japanisches Restaurant in Soho, das heißt Koya und hat die beste Ramen- Nudelsuppe, die ich je gegessen habe.

Und dann gibt es dort auch ein taiwanesisches Lokal, das chinesische Brötchen, herzhaft oder süß gefüllt, serviert. Es heißt Bao. Ein ziemlich kleines Lokal. Wenn man hineingehen will, hält einen der Mann oder die Frau an der Tür an und zeigt auf die andere Straßenseite, wo eine lange Schlange schon um die Ecke steht. Zum Glück ist daneben ein Pub, sodass man, während man wartet ein Pint trinken kann.

Eine der Wohltaten Londons!

Genau! (Beide lachen.)

Ich denke, wir gehen nach Hause und fangen an zu kochen.

_MG_7251



Isst du viel Brunost?

Also auf jeden Fall, wenn ich daheim bin. In den norwegischen Bergen esse ich Waffeln mit Brunost. Wenn ich einen Ausländer mit nach Norwegen bringe, esse ich noch mehr. Ich folge dem Klischee: Das ist der Käse, den ich jeden Morgen esse.

Norwegischer Stolz, vermute ich.

Ja, stimmt, norwegischer Stolz.

Und das Menü heute Abend besteht aus deinen Spezialitäten?

Ich habe das Stroganoff für meine Familie zubereitet, als Test. Ich esse kein Fleisch, und meine Mutter war deutlich beunruhigt; wie kann man ein Ragout Stroganoff ohne Fleisch machen? Ohne es mir zu sagen, bereitete sie auch Fleisch vor, für den Fall, dass es nicht glatt gehen sollte. Aber es ging gut. Ich bereitete es mit Süßkartoffeln und Pilzen und es kam bei allen super an.

Und was ist mit den Pfannkuchen?

Jeder mag Pfannkuchen, oder etwa nicht? Das ist eine sichere Bank! Um ehrlich zu sein, ich habe noch nie Brunost in den Teig gegeben, das wird interessant. Auf jeden Fall kommt noch Konfitüre obendrauf.

/ Die Gäste treffen ein und nach kurzem Begrüßungstrubel wird der erste Gang serviert. Sigrid gibt dazu eine kurze Einführung und alle greifen zu. /

_MG_7358

Brendan: Okay, dann mal los!

Chris: Ich erwarte, dass es wie Erdnussbutter schmeckt und die mag ich. (Alle lachen.)

Während wir uns in ein tiefschürfendes Gespräch über alle Brunost Varianten verlieren, bringt Sigrid den nächsten Gang auf den Tisch, und die Begeisterung nimmt keinesfalls ab. Beim Nachtisch erreicht die Stimmung dann ihren Höhepunkt.

Sagt mal, wie ist euer abschließendes Urteil?

Chris: Das ist einfach yummy!

Vibeke: Wir alle sind gerade glückliche Kinder.

X: Brunost produziert Endorphine. Das ist die neue Droge.

/Alle lachen.//

Mit diesen Eindrücken verlasse ich Sigrids Geburtstagsparty. Ich vermute, sie dauerte noch ein paar fröhliche Stunden. Nach dem Verzehr von 4 Paketen Brunost werden die Gäste bestimmt genug Energie getankt haben, um tanzen zu gehen und das unendliche Nachtleben Londons zu genießen.

_MG_7452